Ungemein präzise, voller Spiellust
Ein feines Rezital boten Noémie Rufer und Evelyne Grandy im Konzertsaal
Der Dezember gehört traditionell zu den konzertreichsten Monaten. Quantität übertrifft mitunter die Qualität. Umso schöner, dass man nach dem Rezital von Noémie Rufer und Evelyne Grandy von einer eigentlichen Sternstunde reden darf. Im Konzertsaal boten die beiden Musik vom Feinsten.
Jürg Nyffenegger
Beide Musikerinnen sind gebürtige Solothurnerinnen: Die 15-jährige Geigerin Noémie Rufer wohnt in Bibern, die nur drei Jahre ältere pianistin Evelyne Grandy in Solothurn. Beide haben schon früh mit dem Instrumentalunterricht begonnen und sind auf dem besten Weg, Musik erfolgreich zu ihrem Beruf zu machen.
Zweifelsohne spielt es eine grosse Rolle, wer junge Talente fördert und wie. Noémie Rufer durfte seit ihrem 4. Lebensjahr auf die Unterstützung namhafter Musikpädagogen zählen. Sie wurde behutsam und dennoch zielgerichtet begleitet, darf Persönlichkeiten wie Karen Turpie, Carole Haering oder Meisterkursanbieter wie Detlef Hahn und Igor Ozim zu ihren Mentoren zählen. Dass sie dank dieser Förderung zählen. Dass sie dank dieser Förderung bereits zahlreiche Preise in Wettbewerben zugesprochen erhielt, ist logische Konsequenz.
Vieles passt zusammen
Neben den Lehrern spielt auch das private und musikalische Umfeld eine Rolle. Bei Noémie Rufer scheint alles bestens zusammenzupassen. Dasselbe gilt offensichtlich auch für ihre Begleiterin am Klavier, die ihre Ausbildung Adalbert Roetschi verdankt. Ein erster Preis im Finale des Schweizerischen Jugendmusikwettbewerbs vor drei Jahren war der Lohn für die oft auch harte Arbeit. Dass sich die junge Pianistin parallel zu Gymnasium und Klavierfortbildung zu Organistin ausbilden lässt und bereits die Stelle einer Vizeorganistin in Bellach betreut, mag ein überzeugender Beweis für ihr aussergewöhnliches Talent sein.
Es darf als Glücksfall bezeichnet werden, dass sich die beiden Musikerinnen getroffen haben. Sie verstehen sich beinahe „blind“ und musizieren zusammen so überzeugend, als hätte sie das schon immer getan. Da ist der Wunsch berechtigt, dass die beiden Hochbegabten zusammenbleiben und weitere Programme erarbeiten.
Blattfreies Spiel
Die beiden Künstlerinnen haben sich für ihr Rezital kein einfaches Programm zusammengestellt. Auf Mozarts B-Dur-Sonate folgten zwei für die Romantik charakteristische Stücke von Mendelssohn für Klavier und dessen fast unbekannte Violin-Sonate in F-Dur. Den fulminanten Höhepunkt setzte das Duo mit Ravels berühmter und von den berühmtesten Geigern immer wieder gespielten „Tzigane“.
Mozart schrieb seine Sonate in B-Dur im Jahre 1778 in Salzburg, und, wie schon vorher, bezeichnete er das Werk als „Sonate für Klavier, mit Begleitung einer Geige“. Anders als in den früheren Werken für diese Besetzung behandelte der Komponist hier und in fünf weiteren Sonaten die Geige als ebenbürtiges Instrument. Das war so neu, dass ein Kritiker damals schrieb: „Diese Sonaten sind die einzigen in ihrer Art. Reich an neuen Gedanken und Spuren des grossen musikalischen Genies des Verfassers. Sehr brillant und dem Instrumente angemessen.“ Die beiden Künstlerinnen wurden dem Glanz der Ecksätze ebenso gerecht wie der Innigkeit des langsamen Mittelsatzes. Evelyne Grandy verstand es, ihren Part so zu gestalten, dass das jeweils führende Instrument prächtig zur Geltung kam. Anzumerken bleibt, dass die Musikerinnen alles auswendig spielten, was zumindest für das Klavier eher ungewöhnlich ist. Das blattfreie Spiel ermöglichte indessen die volle Konzentration auf den musikalischen Ausdruck und auf Kommunikation auf höchstem Niveau.
Ravels „Tzigane“
Evelyne Grandy interpretierte ein melancholisches Gondellied und ein Presto für Klavier, technisch versiert, fein differenziert, ohne Hektik, aber berauschend präzise und voller Spiellust.
Vor der Pause kam die mit Spannung erwartete Interpretation von Maurice Ravels Konzertrhapsodie mit dem Titel „Tzigane“. Das virtuose Werk voller Flageoletts, Pizzicati und vielgriffiger Akkorde entstand 1924 und enthält so ziemlich alles, was auf einer Geige gestrichen und gezupft werden kann. Der Klavierpart erschien später auch in einer Orchesterfassung. Bereits in der langen Einleitung, welche die Geige allein bestreitet, vermochte Noémie Rufer das Publikum zu fesseln. Jeder Ton, jede Sequenz packte und begeisterte. Wunderschön, wie sich dann das Klavier einfügte. Das Duo hätte mit seiner Interpretation kaum Vergleiche zu scheuen. Technisch sass alles, das Zigeunerische des Stücks kam in jedem Takt zur Geltung.
Reife Musikalität
Nach der Pause setzten sich die beiden Musikerinnen mit einer Violinsonate von Mendelssohn auseinander. Dabei handelte es sich nicht um die bekanntere in F-Dur, sondern um jene 1838 entstandene, die Yehudi Menuhin 1953 in Mendelssohns Nachlass entdeckt und herausgegeben hat. Noch einmal stellten beide Musikerinnen ihr stupendes technisches Können und ihre reife Musikalität unter Beweis, gingen die Ecksätze mit Verve, am Schluss vielleicht sogar mit all zu viel davon, an, gaben dem Mittelsatz romantische und träumerische Wärme, spürten der berührenden Stimmung nach.
Das Publikum war zu Recht begeistert und verdankte das aussergewöhnliche Konzert mit langem Applaus. Klar, dass sich Noémie Rufer und Evelyne Grandy zu einer Zugabe bewegen liessen.