Versunken in romantische Gefühlswelten
Die im Jahr 1961 von Musikpädagogen gegründeten Solothurner Vokalisten lösten sich 1991 auf. Eine Konzertreihe zum 80. Geburtstag des Mitgründers Alban Roetschi führte 2001 zum Wiederaufbau als Kammerchor mit dreissig Mitgliedern. Daraus ist ein Ensemble entstanden, das höchste Ansprüche in allen Sparten des Chorgesangs erfüllt: vom Barock bis in die Neuzeit, vom Oratorium bis zur Operette.
«Willkommen, willkommen»
Schon am Anfang des Konzerts im Festsaal des Klosters St. Urban präsentierten die Solothurner Vokalisten ihre erstaunliche Spannweite mit der 1997 von Edward Gregson komponierten «Welcom Ode». Der Willkommensgruss begann mit einer perlenden Einleitung des Klavierduos Evelyne Grandyund Adalbert Roetschi auf der rechten Seite und kräftigen Akkorden auf der linken, der Chor antwortete mit der ganzen Fülle seines Volumens. Seine Beweglichkeit zeigte er in den wechselnden Tempi und die Sicherheit in der Stimmführung in chromatisch auf- und absteigenden Tonfolgen. Der Schluss «willkommen, willkommen» schwoll zu brausendem Jubel an.
Die von Johannes Brahms vertonten Texte haben einen russischen, polnischen und ungarischen Ursprung. Dementsprechend vielseitig waren im Wechselbad der Gefühle auch die Klangbilder. Dirigent Patrick Oetterli holte sie mit sparsamen, aber zielbewusst gesetzten Zeichen aus dem Chor heraus. Da erhielt die ganze Gefühlsskala die ihr eigene, individuelle Aussage, nuanciert mit ausgeprägter Dynamik und wechselnden Klangfarben durch das Teilen und wieder Zusammenführen der Stimmregister.
Berührendes Klavierspiel
Fortlaufend lösten die Frauen- und Männerstimmen der Solothurner Vokalisten einander mit höchster Präzision in den Einsätzen ab, ständig unter sich geschlossen und absolut stimmrein bleibend. Im zweiten Teil der Liebesliederwalzer stellten zwei Sopran- und eine Tenorstimme ihre solistischen Talente vor. Über das Ganze gesehen, fand hier Gesangskultur auf höchster Ebene statt.
Nach der Pause setzten sich Evelyne Grandyund Adalbert Roetschi an den Flügel. Schon in der Begleitung des Chorgesangs hatten sie ein den Charakter der Lieder mitbestimmendes Einfühlungsvermögen gezeigt. Es wurde noch übertroffen in der Interpretation der Fantasie f-Moll. Franz Schubert breitet darin sein innerstes Erleben des nahenden Todes aus. Immer wieder taucht das abgründige Leitmotiv auf; wie auf der Flucht vor dem Unvermeidlichen folgen nach Generalpausen auflehnende Ausbrüche. Mehrmals kehrt die Wirklichkeit in der tieftraurigen, auf der Stelle tretenden Leitmelodie zurück. Diese Empfindungen malten die Solisten so innig, verständlich und eindrücklich aus, dass es am Schluss des Konzerts eine Weile still blieb, bevor der Beifall einsetzte.
brahms/schubert: liebe, lust und leid
Es sind ewig währende Themen, die im Konzert in St. Urban angesprochen wurden. In den 1868 komponierten Liebesliederwalzern (op. 52) besingt Johannes Brahms die verführerische, lyrische, ironische und flammende Seite der Liebe. Sechs Jahre später beschreibt ein weiterer Zyklus von Liebesliederwalzern (op. 65) die Kehrseite von Liebesgefühlen: Sehnsucht, Misstrauen, Eifersucht, Enttäuschung und Verzicht. Als Scharnier zwischen den beiden Welten diente Franz Schuberts Fantasie f-Moll (D 904). Er schrieb sie in seinem Todesjahr 1828, tiefgründig, schwankend zwischen Hoffen und Bangen, Verzweiflung und Erlösung. Die Begeisterung des Publikums zeigte, dass Bleibendes auch in einer flüchtigen Zeit noch Bestand hat. Besonders dann, wenn es so einfühlend und musikalisch kompetent interpretiert wird.(KBB)
Fortlaufend lösten die Frauen- und Männerstimmen einander mit höchster Präzision ab.
Die Solothurner Vokalisten unter der Leitung von Patrick Oetterli (rechts) führten Johannes Brahms’ Liebeswalzer auf, mit Klavierbegleitung von Evelyne Grandyund Adalbert Roetschi.KBB